Rhein Main Presse:
Eine Stadt wird zur Bühne
Die Aussicht auf eine zweistündige "Stadtverführung" weckt in dem Grüppchen, das sich vor Staufens Rathaus versammelt hat, zunächst einmal Grusel vor möglicher Langeweile. Doch in der Faust-Stadt sorgt Mephistopheles persönlich dafür, dass die Gäste in Atem gehalten werden. Verwandlungskünstler, der er ist, erscheint er zur Begrüßung als schwarzgewandeter Doctor Faust: "Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie! Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor".
Johann Faust hat im 16. Jahrhundert darüber sind sich die Gelehrten einig hier gelebt und sein Leben ausgehaucht. "Doctor" war er freilich nicht. Nie sah er eine Universität von innen, vielmehr erlangte er seinen akademischen Grad von einem staunenden Publikum und machte ihn sich gern zu eigen. Als man ihn so um 1539 gräßlich zugerichtet im Hotel "Löwen", dritter Stock, Zimmer fünf, mausetot zwischen tausend Splittern fand, wusste man gleich, dass ihn nur Mephistopheles, "der obersten Teufel einer", geholt haben konnte. Wahrscheinlicher ist wohl der Tod nach einem missglückten Experiment des Doctor Faustus beim Versuch Gold herzustellen eine Druckwelle, die Kolben, Retorten und Fensterscheiben zum Bersten brachte. Oder gar ein Suizid, denn wäre der Alchimist Faust friedlich im Bett an Altersschwäche gestorben, wäre er wohl kaum als literarische Vorlage der "Historia von D. Johann Fausten" (1587) über Goethes "Faust" (1808/82) bis zu Thomas Manns "Mephisto" (1947) in Frage gekommen.
Der diabolische Verführer alias Rainer Mannich im echten Leben Schauspieler aus Münstertal und Mitwirkender beim Freiburger Improvisationstheater L.U.S.T lässt keinen Zweifel daran, dass er dem Faust das Genick gebrochen hat. Er führt fortan als Mephisto durch die Geschichte des Städtleins und verspricht: "Du wirst, mein Freund, für Deine Sinnen, in dieser Stunde mehr gewinnen, als in des Jahres Einerlei. . ."
Freude war einem Teufel nicht immer beschieden. Das beginnt schon beim 1546 erbauten spätgotischen Rathaus, das auch als Gerichtslaube diente: "ein Ärgernis, sie ist verglast". Um so mehr freut der "Leibhaftige", dass es den Pranger noch gibt, "ein Ort, den ich sehr liebte". Dann schwingt er sein Stöckchen mit dem Schlangenkopf, breitet den Mantel aus und rennt, schwebt und fliegt der Gruppe in teuflischem Tempo voran in den sechseckigen Turm des Rathauses, wo man seinen Fußabdruck auf dem Treppenabsatz bewundern muss, den er hinterließ, als er nach Ablauf des 24-jährigen Paktes die Seele Fausts mit sich nahm.
Natürlich geht es nicht nur um Faust, sondern um Stadtgeschichte, die für einen Teufel nicht immer Freude brachte. Harte Zeiten brachen für ihn an, als in der Nachbarschaft das Kloster St. Trudpert gegründet wurde. Gute Erinnerungen werden wach, wenn er über die lustigen Gelage im Freihof sinniert, in dem manch zwielichtiger Person weiland Asyl gewährt wurde. Ärgerlich, dass daraus 1669 eine "Filiale" der "Pfaffen" wurde.
Genussvoll wird es in der Johannisgasse vor dem Haus Nr.14, wo zu "Coffee und more" geladen wird. Mephisto weiß eine Menge über das Gebräu, dass er zum Verkosten anbietet: "50 Kaffeebohnen braucht ein guter Espresso." Er flirtet charmant mit den Damen, besonders mit den Rothaarigen, wohl andeutend, dass sie früher oder später alle ihm gehören werden. Etwas widerwillig zieht er weiter zu dem "tausendjährigen Ärgernis", die katholische Kirche St. Martin. Er bietet an einzutreten, bleibt selbst aber lieber vor Tür.
Vor der Kulisse der Ruine auf dem Burgberg, schildert er die gar schrecklichen Ereignisse während des 30-jährigen Krieges, als die Schweden 1632 die Burg niederbrannten und die Stadt plünderten. Vor dem Stadtschloss findet Mephisto ein würdiges Bühnenbild für eine Szene aus Goethes Faust. Ein Gretchen und ein Doctor Faust sind unter den Gästen schnell überzeugt, auch wenn sie sich zunächst etwas zieren, als Schauspieler zu agieren: "Schönes Fräulein darf ichs wagen, meinen Arm und Geleit ihr anzutragen?" Und Gretchen antwortet mit scheuem Augenaufschlag: Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehen." Soviel Goethe kann sich jeder merken und die Begeisterung beim Publikum ist groß.
Und weiter gehts im Teufelsgalopp über die Kopfsteinpflaster-Gassen. Die Passanten kennen den "Verführer mit Pferdefuß" und grüßen freundlich zurück, nur ein kleines Mädchen fängt vorsichtshalber an zu weinen. Mephistopheles verschwindet in einem Durchgang zu einem Weingut, wo eine Gutedel-Probe wartet. Beim genüsslichen Schlürfen gibt der Seniorchef allerlei Wissenswertes zum Weinbau zur Kenntnis. Und Mephisto macht darauf aufmerksam, dass die Pflanze, die sich an der Scheunenwand emporrankt, Fleisch frisst. In Staufen ist alles möglich.
Die nächste Station, das lässt er sich nicht nehmen, ist der Ort seines Triumphes, das Gasthaus "Zum Löwen", wo er die "arme Seele der ewigen Verdammnis überantwortete". Etwas unzufrieden ist Mephisto nur, dass Goethe ihm diese Freude nicht mehr gegönnt hat.
Gegenüber gelangt man durch einen Torbogen zum Stubenhaus. Das schon 1436 erwähnte Gebäude diente früher als "Trinkstube am Markt". Die ihm längst verfallenen Seelen beschwipst Mephisto nun mit Winzersekt, verführt sie mit Pflaumen im Speckmantel, verblüfft mit einer Feuerbeschwörung mit viel Qualm und Gestank und verschwindet nicht ohne an ein baldiges Wiedersehen zu erinnern: "Glaubt nicht, was die Pfaffen über die Hölle sagen."
Wie? Zwei Stunden schon vorbei? Das muss mit dem Teufel zugegangen sein....
Heidrun Braun
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